"Die XY AG hat heute beim zuständigen
Amtsgericht Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit
beantragt." So oder ähnlich lauten immer
häufiger die lapidaren Ad-hoc-Meldungen nicht
nur aus der New Economy.
Laut Wirtschaftsauskunftsdienst Creditreform
meldeten in der ersten Hälfte dieses Jahres
18.800 Unternehmen Insolvenz an. Das entspricht
einer Steigerung um 25,2% gegenüber dem gleichen
Zeitraum im Vorjahr. Insgesamt werden für
2002 ca. 40.000 Firmenpleiten erwartet.
Meist kommt dieser Schritt für die Mitarbeiter
nicht überraschend, denn bereits in der Zeit
vor dieser Meldung kam das Gehalt verspätet
und Lieferanten beschwerten sich verstärkt
über ausbleibende Zahlungen.
Wie geht es jetzt weiter?
Seit dem 01.01.1999 gilt in Deutschland das neue
Insolvenzrecht, die Insolvenzordnung (InsO), das
im Gegensatz zum alten Konkursrecht ein verstärktes
Augenmerk auf die Rettung des Unternehmens legt.
Angeschlagene Unternehmen sollen möglichst
frühzeitig einen Antrag auf Insolvenz stellen,
um die Chancen der Sanierung zu erhöhen.
Mit Antrag auf Insolvenz wird vom Amtsgericht
ein vorläufiger Insolvenzverwalter gestellt,
der ab sofort alle Entscheidungen im Unternehmen
trifft und der so lange "vorläufig"
heißt, bis das Verfahren eröffnet ist.
Ein Antrag auf Insolvenz bedeutet nicht automatisch,
dass die Firma geschlossen wird. Der vorläufige
Insolvenzverwalter prüft, ob das Unternehmen
- ganz oder in Teilen - weiter geführt werden
kann und ob genügend Masse vorhanden ist,
um die Verfahrenskosten zu decken. Dazu hat er
drei Monate lang Zeit. Wenn das Verfahren eröffnet
wird, gibt es drei Möglichkeiten, was nun
geschieht:
- Durchführung eines Insolvenzplans: In
Zusammenarbeit mit Gläubigern und Schuldnern
wird ein Plan zur Rettung des Unternehmens aufgestellt,
meistens wird es dabei deutlich verkleinert. Die
Gläubiger werden am Ertrag beteiligt und
verzichten im Gegenzug auf ihre Forderungen.
- Eine Auffanggesellschaft kauft das Vermögen
oder Teile davon und führt die Geschäfte
fort. Ziel ist es, die überlebensfähigen
Teile des Unternehmens zu erhalten.
- Die Liquidation: Der Insolvenzverwalter veräußert
die Vermögenswerte und die Gläubiger
werden anteilig befriedigt.
Oberstes Ziel des Insolvenzverwalters ist die
Erhaltung von möglichst vielen Arbeitsplätzen
und die Rettung des Unternehmens bzw. der erhaltenswerten
Teile.
Das liebe Geld
Die Mitarbeiter beschäftigt naturgemäß
zuerst einmal das Geld. Hier gilt: Wird das Unternehmen
weitergeführt, haben die Arbeitnehmer ab
dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
rückwirkend drei Monate lang Anrecht auf
Insolvenzgeld. Dazu müssen sie einen Antrag
beim Arbeitsamt stellen.
Der Antrag auf Insolvenzgeld muss spätestens
zwei Monate nach "Eintritt des Insolvenzereignisses",
wie es im Amtsdeutsch heißt, beim Arbeitsamt
gestellt werden.
Wird der Geschäftsbetrieb eingestellt oder
das Insolvenzverfahren erst gar nicht eröffnet,
haben die Arbeitnehmer Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Wie viel Insolvenzgeld gibt es?
Das Insolvenzgeld wird nur rückwirkend für
einen dreimonatigen Zeitraum vor Eröffnung
des Insolvenzverfahrens gewährt. Häufig
kümmert der Insolvenzverwalter sich darum,
dass beispielsweise eine Bank in Vorleistung tritt
und das Geld beim Arbeitsamt einfordert, so dass
die Arbeitnehmer nicht bis zur Eröffnung
des Insolvenzverfahrens auf ihr Geld warten müssen.
Außerdem fließt so nicht noch mehr
Geld aus der Unternehmensmasse ab, das besser
zur Sanierung eingesetzt werden kann.
Sollte keine Vorauszahlung durch eine Bank erfolgen,
können die Arbeitnehmer beim Arbeitsamt einen
Antrag auf Vorschuss auf das Insolvenzgeld stellen.
Das Insolvenzgeld ist genauso hoch wie das Nettogehalt,
und es ist steuerfrei. Allerdings findet hier
der sog. Progressionsvorbehalt Anwendung.
Werkstudenten, Aushilfen und Azubis haben auch
einen Anspruch auf Insolvenzgeld. Pech haben die
freien Mitarbeiter: Sie werden wie alle anderen
Gläubiger behandelt und müssen Ihre
Forderungen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
beim Insolvenzverwalter anmelden. Ob sie ihr Geld
bekommen oder wie viel davon, steht zunächst
in den Sternen.
Nach Eröffnung des Verfahrens
Sollten Mitarbeiter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
weiterhin im Unternehmen beschäftigt bleiben,
haben sie keinen Anspruch mehr auf Insolvenzgeld.
Ihr Gehalt muss nun aus der verbleibenden Masse
vom Insolvenzverwalter gezahlt werden. Hierbei
kann man aber nicht immer mit einer pünktlichen
und vollständigen Zahlung rechnen. Es handelt
sich um eine sog. Masseforderung, die Vorrang
vor den Forderungen der Gläubiger hat.
Haben Sie noch Forderungen aus der Zeit vor den
drei Monaten, z.B. noch offene Reisekosten oder
Provisionen müssen Sie dieser Forderungen
bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens anmelden.
Es handelt sich nicht um Masseforderungen. Wird
das Verfahren mangels Masse nicht eröffnet,
können Sie diese Forderungen also abschreiben.
Kündigungen
Wenn der Insolvenzverwalter die Möglichkeit
einer positiven Fortführungsprognose nur
mit einer reduzierten Mannschaft sieht, kann er
selbstverständlich Mitarbeiter aus betriebsbedingten
Gründen entlassen und freistellen. Die Kündigungsfristen
müssen natürlich beachtet werden; im
Insolvenzfall verkürzen sich allerdings längere
Kündigungsfristen auf maximal 3 Monate.
Werden Mitarbeiter in der Kündigungsfrist
freigestellt, haben sie weiterhin Anspruch auf
Insolvenzgeld, fallen aber meistens nicht unter
die Vorfinanzierungsregelung. Bis das Insolvenzgeld
vom Arbeitsamt bezahlt wird, kann übergangsweise
Arbeitslosengeld beantragt werden, das später
mit dem Insolvenzgeld verrechnet wird.
Ist das Insolvenzverfahren bereits eröffnet,
haben die Mitarbeiter keinen Anspruch mehr auf
Insolvenzgeld. Sollte vom Arbeitgeber keine Zahlung
mehr erfolgen, so haben zumindest gekündigte
und gleichzeitig freigestellte Mitarbeiter die
Möglichkeit, beim Arbeitsamt Arbeitslosengeld
zu beantragen. Die Differenz zwischen Arbeitslosengeld
und dem Nettogehalt muss dann als Masseforderung
beim Insolvenzverwalter geltend gemacht werden.
Die Insolvenz selbst ist übrigens kein betriebsbedingter
oder außerordentlicher Kündigungsgrund,
es sei denn, der Beschluss zur Betriebsstilllegung
steht fest.
Bis zum Insolvenzantrag bestehende Sozialpläne
können sowohl vom Insolvenzverwalter, als
auch vom Betriebsrat gekündigt werden. Sollten
die Sozialpläne aus der Zeit vor der Antragstellung
weiter bestehen bleiben, müssen die Forderungen
beim Insolvenzverwalter angemeldet werden. Die
Auszahlung erfolgt dann sehr wahrscheinlich nur
zu einem Bruchteil, evtl. mittels einer Quote.
Perspektiven
Die Überlebenschance des insolventen Unternehmens
und seiner Mitarbeiter hängt von vielen Faktoren
ab. Ein schwacher Trost für die Betroffenen
mag es sein, dass seit Einführung der InsO
im Jahr 1999 die Ablehnungen von Insolvenzverfahren
mangels Masse stark zurück gegangen sind.
Waren es im Jahr 1997 noch 72,7%, belief sich
dieser Anteil im Jahr 2001 nur noch auf 53,3%.
Knapp die Hälfte der Unternehmen, die einen
Antrag auf Insolvenz gestellt haben, haben also
eine Chance auf Rettung.
Versuchen Sie, gemeinsam mit den Kollegen dem
Frust zu trotzen: Ein gemeinsamer Abend im Biergarten
oder der Kneipe kann manche Anspannung fürs
Erste lösen. Oder entwerfen Sie Ihr ultimatives
Inso-T-Shirt, auf dem das Management oder die
Investoren ihr Fett abbekommen.
Und jetzt ist der richtige Zeitpunkt gekommen,
Ihren Chef um das längst fällige Zwischenzeugnis
zu bitten - das sollten Sie aber besser vor Entwurf
des Inso-T-Shirts tun ;-)
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