Natürlich bin ich gegen den
Krieg wie viele andere Leute auch. Gerade in letzter
Zeit fühlt man und frau sich unbehaglich
und hilflos angesichts der kriegerischen Drohgebärden
Amerikas und der Tatsache, dass die Gegenposition
der rot-grünen Regierung nicht immer eindeutig
ist. In dieser Stimmung trifft der Kettenbrief
mit seiner Anti-Kriegspetition natürlich
einen wunden Punkt. Endlich, denkt man, kann man
etwas tun. Zeigen, dass man auch dagegen ist,
sich mit seinem Namen verewigen und diese E-Mail
an möglichst viele Leute weiterleiten.
In der momentan zirkulierenden Anti-Kriegspetition
geht es um eine - angeblich von der UN initiierte
- Unterschriftensammlung gegen einen möglichen
Krieg. Wir beziehen das heute natürlich auf
den Irak, den Ursprung hatte diese Anti-Kriegspetition
aber vor über einem Jahr - und da ging es
um den Einmarsch der Amerikaner in Afghanistan.
Die E-Mail funktioniert nach dem Kettenbrief-Prinzip.
D.h. sie ist eventuell nur von einer einzigen
Person initiiert, erreicht aber bei jedem neuen
Adressaten, der die Mail an mehrere Leute weiterschickt,
einen immer größeren Wirkungsbereich.
Sie kennen diese Kettenbriefe vielleicht auch
aus Ihrer Schulzeit; da gab es die harmlose Variante:
schicke eine Postkarte an die Adresse, die sich
ganz oben befindet, gib den Brief an zehn Freundinnen
weiter und du wirst ganz viele Postkarten aus
aller Welt erhalten. In einer schon etwas materialistischeren
- aber immer noch sehr kindgerechten Form - ging
es um eine Tafel Schokolade, die man versenden
sollte, und um viele hunderte Tafeln, die man
zurückerhalten würde. Dann kamen auch
die Geldkettenbriefe und spätestens in diesem
Moment war es gut, wenn man einen schlaueren Menschen
kannte, der einem das Prinzip und die Unmöglichkeit
von Kettenbriefen oder auch das Pyramidensystem
mit seiner exponentiellen Verbreitung erklärte.
Dieses Pyramidensystem passt eigentlich schon
einmal schlecht zu einer seriösen Unterschriftensammlung:
denn am Schluss gäbe es sehr viele Listen,
in denen die Adressen der ersten Initiatoren immer
aufgeführt wären, die Adressen der zuletzt
Dazugekommenen hingegen weniger häufig. Eine
Aussage, wie viele Leute jetzt wirklich unterschrieben
hätten und nicht einfach nur mehrfach genannt
worden wären, ließe sich ohne größeren
Aufwand schon nicht mehr treffen.
Außerdem bestehen Unterschriftensammlungen
normalerweise aus Unterschriften und nicht aus
Vornamen-Nachnamen-Ort - Listen in elektronischer
Form, die sich ja beliebig manipulieren lassen.
Wer hindert mich daran, vor dem Weiterschicken
meine Nachbarn im Haus, meine berühmten Freunde
in Amerika oder meinen Hund in die Liste einzutragen?
Oder wer wird es merken, wenn ich in der Namensammlung
aus dem Namen Jack immer eine Jacqueline mache?
Genauso einfach könnte ich aber natürlich
auch den Text ändern und dann sind auf der
Liste auf einmal Leute versammelt, die nun z.B.
gegen die Tiertransporte quer durch Europa protestieren.
Fazit: Solche Namenslisten lassen sich beliebig
- mehr oder minder bösartig - fälschen
und manipulieren.
Diese zwei Argumente gelten prinzipiell für
alle angeblichen Petitionen, die in diesem Kettenbriefverfahren
vervielfältigt werden und zeigen, dass Kettenbriefe
nie ein seriöses Mittel für Protestäußerungen
sein können; auch wenn sie einen tatsächlichen
Missstand anprangern.
Was einen bei dem aktuellen Kettenbrief aber
auch stutzig machen sollte, ist, dass - zumindest
in einer der kursierenden Formen - die UN angeblich
diese Unterschriftensammlungsaktion initiiert.
Gerade das ist aber wohl nicht Aufgabe der UN,
sie ist nicht auf Unterschriften angewiesen, sondern
hat andere Wege, um Sachen zu beschließen
oder Sanktionen zu erlassen.
Jetzt könnte man aber auch sagen, alles
in allem ist das Ganze eine sinnlose, aber harmlose
Angelegenheit. Nicht ganz, denn es wird Zeit verschwendet
- was an sich auch noch nicht bedenklich ist,
denn der Glaube, man könne alle Zeit produktiv
ausnützen, ist sowieso eine Illusion. Aber
es wird ja nicht einfach irgendeine Zeit verschwendet,
sondern eigentlich eine besonders wertvolle Zeit,
nämlich die Zeit, die die Leute bereit sind,
sich zu engagieren. Und Engagement zählt.
Außerdem motivieren sinnlose Aktionen nicht
unbedingt dazu, sich erneut zu engagieren.
Bedenklich an Kettenbriefaktionen ist zudem,
dass die Anzahl an unerwünschten Mails sowieso
schon ständig steigt - zum einen ist es die
Flut an wirklichen Spam-Mails (die auch Thema
der nächsten Ausgabe von mediella sein werden),
zum anderen ist es aber auch die Fülle an
unnötigen Mails, die meist gar nicht in böser
Absicht versendet werden. Diesem Trend sollten
wir entgegenwirken.
Neben Petitionen gibt es Kettenbriefe auch noch
als Gewinnspiele, mitleidheischende E-Mails und
falsche Virenmeldungen. Sie können getrost
alle E-Mails, in denen steht, man solle sie an
möglichst viele Leute verteilen, löschen.
Denn 99 % dieser E-Mails sind Hoaxes, also nicht
ernst zu nehmende Fälschungen. Wollen Sie
aber ganz sicher gehen, dann konsultieren Sie
eine der seriösen Hoaxlisten wie die der
TU Berlin, wo Sie neben einer Auflistung der wichtigsten
Hoaxes auch die echten aktuellen Virenwarnungen
finden.
Wirkliche Unterschriftensammlungen, wie sie beispielsweise
von Amnesty International ausgehen, funktionieren
nach einem anderen Prinzip. Hier kann es zwar
sein, dass die Aufforderung, Unterschriften zu
sammeln, per Mail ergeht. Aber als Attachment
gibt es dann ein Dokument, das man ausdrucken
kann und auf dem man dann Unterschriften (echte
handgeschriebene!) sammelt. Das ganze wird danach
per Post oder Fax an die Zieladresse gesendet.
Also noch ganz der herkömmliche Weg - mühsamer,
dafür aber auch effektiv und nicht so manipulierbar.
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